VEREIN vs. MUTTER – PRESSEMITTEILUNG ZUM PROZESS

„Für mein Verständnis widersprechen Sie sich elementar selbst.“

Der Richter zu Vertreter_innen des „Vereins zur Schaffung und Erhaltung selbstverwalteten Wohnens e.V.“.

 

Der Prozess „Verein zur Schaffung und Erhaltung selbstverwalteten Wohnens“ – Trägerverein des selbstverwalteten Wohnprojekts Leibnizhaus 2 – gegen eine Bewohnerin desselben und junge Mutter ging am Freitag, den 11.01.2019, mit einem Vergleich zu Ende.

Die Beklagte schlug schließlich selbst nach 5,5 Stunden Verhandlung um des lieben Frieden Willens einen Vergleich vor. Sie ließ sich auf ein Räumungsdatum am 31.12.2019 ein. Im Gegenzug dazu soll ihr rechtlich höchst fragwürdiger „Ausschluss aus der Hausgemeinschaft“ (seit Juni 2018) revidiert werden. Außerdem soll das von ihr vor über 10 Jahren angelegte und seitdem bewirtschaftete Beet wieder ihr zur Nutzung überlassen werden, nachdem es im vergangenen Herbst zu Gunsten eines der klageführenden Vorstände enteignet wurde.

Nach jahrelangem Konflikt zwischen der jungen Mutter und einer ebenfalls im Haus wohnenden Kleingruppe hatten zwei Mitglieder dieser Gruppe eigenmächtig Kündigung und Räumungsklage gegen die Beklagte eingereicht. Die beiden hatten sich vor einem Jahr zu Vorständen des Trägervereins von Leibnizhaus 2 und Leibnizhaus 3 ernennen lassen. Für eine Kündigung hätte es eigentlich einen Beschluss der Selbstverwaltung (d.h. der Hausversammlung) sowie die Informierung und Anhörung des Beirats benötigt. Beides, Beschluss der Hausversammlung und Anhörung des Beirats, wurden erst Monate nach Klageerhebung ohne wirkliche Möglichkeit zum Widerspruch eingeholt.

Im Verlauf des Konflikts wurde die junge Mutter, besonders in der ersten Hälfte des Jahres 2018, von Übergriffen und Mobbing überzogen, um sie zum Auszug zu bewegen. Hassparolen an den Wänden und gesalzene Pflanzen seien nur als die krassesten unter vielen genannt.

Als sie trotz allem noch immer auf Mediation und Gespräche pochte, statt sich vertreiben zu lassen, wurde die Gewalt strukturell: Gemeinsam mit dem von den Vorständen eigenmächtig ernannten Anwalt reichten diese seit August 2018 insgesamt 4 Kündigungsschreiben gerichtlich ein. Mit zahlreichen vorgeschobenen Kündigungsgründen und der Aufforderung zur sofortigen Räumung des von ihr und ihres kleinen Kindes bewohnten Zimmers wollten sie endgültig den Auszug herbeiführen.

Die ersten beiden dieser Kündigungen wurden von Seiten des Richters als juristisch schwierig haltbar eingeschätzt, da sie ohne Informierung, Anhörung oder gar Mandat von Beirat und Selbstverwaltung ausgesprochen wurden. Der Beirat des Vereins sowie die Bewohnerschaft des Leibnizhaus 3 hakte nach dem Bekanntwerden der Güteverhandlung vom 09.11.2018 ein und wurde erst infolgedessen, Ende November 2018, offiziell in Kenntnis gesetzt.

Nur die beiden danach ausgesprochenen Kündigungen können darum als formal rechtsgültig angesehen werden.

Die letzte Kündigung datiert auf den 10.01.2019, den Vortag der Verhandlung, und führt als Kündigungsgrund die Bitte der Beklagten an das hiesige Mietshäusersyndikat um kritische Prozessbeobachtung an. Grund: Sie lasse damit die Vorstände und den Verein in schlechtem Licht erscheinen, so einer der Vorstände auf Nachfrage des Richters.

Von den zahllosen angeführten Kündigungsgründen, die Anwalt und Vorstände sich am laufenden Band aus den Fingern saugten, wertete der Richter im Laufe der Verhandlung schließlich nur zwei als tatsächlich in juristischem Sinne bedenkenswert:

Einerseits, aus formaljuristischen Gründen, die Ersetzung des hauseigenen Rauchmelders im eigenen Zimmer durch ein selbst angeschafftes handelsübliches Modell.

Andererseits, und hier wird es brisant, folgendes: Das den Mietverträgen im Leibnizhaus 2 angehängte „Hausstatut“ verpflichtet die Bewohner_innen, die Beschlüsse der Selbstverwaltung mitzutragen. Die „Selbstverwaltung“ erklärte der Beklagten im Juni 2018 in Form eines Protokolls einer Versammlung, an der nur etwa 2/3 der Bewohnenden überhaupt teilnahmen, den „Ausschluss aus der Hausgemeinschaft“. Da sie diesem Beschluss nicht Folge leistete und das Haus nicht sofort verließ, gab sie – so der Richter – dem Verein als Vermieter ausreichend Grund für eine sogenannte ordentliche Kündigung – schließlich habe sie den Beschluss der Selbstverwaltung, und damit das Hausstatut, missachtet.

Dass das nur aufgrund der besonderen rechtlichen Struktur der Leibnizhäuser möglich sei und in keinem normalen Mietverhältnis durchsetzbar wäre, schob er nach.

Alle anderen vorgeschobenen Gründe waren für eine Kündigung rechtlich substanzlos.

Ausschlaggebend für ein trotzdem drohendes Urteil war also der bloße Fakt, dass die Beklagte sich von der durch die Mehrheits-Struktur im Leibnizhaus 2 begünstigten Diskriminierung nicht aus dem Haus mobben lassen wollte. Die Selbstverwaltung schuf ihren eigenen perfiden Kündigungsgrund, den der Richter – strikt nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches urteilend – vermutlich gelten gelassen hätte. Schließlich hatte die Beklagte formal eine Verletzung der im Mietvertrag festgelegten Pflichten begangen, indem sie dem Beschluss zu ihrem „Ausschluss“ durch einen Teil ihrer Mitbewohner_innen nicht sofort gehorchte.

Die Selbstverwaltung des Leibnizhaus 2, mit vorgeblich sozialem Anspruch, unterschreitet damit sogar noch den normalgesellschaftlichen Mieterschutz und hat ihr Ziel erreicht: Eine Person mit zu stark von der internen Norm abweichenden Meinung muss nun gehen und die Gruppe wird noch ein Stück homogener.

Bleibt nur noch, einen Glückwunsch von unserer Seite an die momentane Hegemonialmacht im Leibnizhaus 2 zu richten. Ihr habt, was ihr wolltet: „Initiative Einheitsbrei“, selbst der Richter als Vertreter der Staatsgewalt war progressiver, menschlicher und linker als ihr.

Wir wünschen der Betroffenen ein gutes 19. und letztes Jahr in ihrem Zuhause, dass sie es ohne weitere Übergriffe gegen sie zu einem guten Abschluss bringen kann. Und allen anderen, der derzeitigen Minderheit, ein weiterhin gutes Durchhalten. Auf dass ihr den Mut findet, für Gewaltfreiheit und wirkliche Selbstorganisation aufzustehen.

 

Ulla und David,

für GFGB.blackblogs.org

P.S.: Wer daran interessiert ist, kann gerne von uns das ungekürzte 10-seitige Verhandlungsprotokoll zugeschickt bekommen.